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Donnerstag, Oktober 2, 2025
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Pseudo-Herzschmerz abschalten

Silvester 2007. Als der Schmerz in der Brust kaum noch auszuhalten ist und er auf dem kurzen Weg von der Küche ins Wohnzimmer einfach umfällt, schafft es Wolfgang Wandelt noch zum Telefon zu kriechen. Er nimmt geistesgegenwärtig den Hörer in die Hand und wählt die 112. Dann setzt die Erinnerung aus. Der Gummersbacher ist zu dem Zeitpunkt noch ein junger kräftiger Mann, der seinen Lebensunterhalt seit vielen Jahren in einem Steinbruch verdient. Er weiß, was es bedeutet, hart körperlich zu arbeiten. Den Jahreswechsel verbringt Wandelt im Klinikum Lüdenscheid, während Ärzte um sein Leben kämpfen. Diagnose: Herzinfarkt. Es fällt der Startschuss einer langen Leidensgeschichte. Der heute 56-Jährige wird nie wieder Grauwacke abbauen und kaum noch seine Wohnung verlassen.

Fast 18 Jahre später sitzt Wolfang Wandelt gemeinsam mit seiner Ehefrau und Uwe Mutter, Leiter des Zentrums für Neuromodulation an der Helios Klinik Wipperfürth, in einem Besprechungsraum. Es geht darum, seine ganz besondere Geschichte zu erzählen. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, lächelt er leicht verlegen an diesem warmen Augustmorgen, doch schnell verfliegt die anfängliche Zurückhaltung. Fast alles dreht sich in seinen Bericht um Schmerzen und Angst. Teilweise monatlich muss Wolfgang Wandelt seit dem ersten Herzinfarkt wieder und wieder ins Krankenhaus. Die heftigen Schmerzattacken, die sich über mehrere Stunden hinziehen, deuten stets aufs Neue auf den nächsten Herzinfarkt hin.

Meistens Fehlalarm
Und tatsächlich tritt dieses Ereignis noch weitere zwei Male auf. Das Gute im Schlechten: In den allermeisten Fällen finden die Kardiologen keinerlei Hinweis auf einen Gefäßverschluss im Herzen. Daraus folgt jedoch: „Irgendwann glauben einem die Ärzte nicht mehr und schieben alles auf Einbildung.“ Ein Gefühl, das viele chronische Schmerzpatienten teilen. Hinzu kommt, dass selbst hochdosierte Schmerzmittel nicht mehr helfen. Wolfgang Wandelts Körper hat sich bereits an fast alles gewöhnt, was Apotheken hergeben.


Ein Mediziner, der seine Schilderungen ernstnimmt und ihn nicht gleich abschreibt, ist Ralf Trogemann, Leitender Arzt der Abteilung für Schmerztherapie an der Helios Klinik Wipperfürth. Hier durchläuft Wandelt eine 14-tätige stationäre Schmerztherapie. Hauptgrund dafür sind seine chronischen Rückenschmerzen. Sie plagen ihn zu allem Überfluss noch zusätzlich. Als er Trogemann wie beiläufig auch von drei bis vier wöchentlichen Schmerzattacken in der Brust berichtet, die willkürlich auftreten und mehrere Stunden andauern, wird dieser hellhörig. Er schickt Wandelt zu seinem Kollegen Uwe Mutter. Der Halveraner ist im Haus für das Zentrum für Neuromodulation verantwortlich.

Game Changer Neuromodulation gegen Nervenschmerzen
Neuromodulation ist eine Behandlungsmethode, die hauptsächlich in der Schmerztherapie zum Einsatz kommt. Dabei werden bestimmte Nerven oder Rückenmarksareale durch elektrische Stimulation so „umprogrammiert“, dass Schmerzsignale abgeschwächt oder gar nicht mehr an das Gehirn weitergeleitet werden. Dies geschieht mittels eines Implantats, das Patienten im Körper tragen, und das diese Signale kontinuierlich aussendet.

„Herr Wandelts Geschichte ist sehr typisch für Menschen mit Herzinfarkt“, sagt Uwe Mutter und fährt fort: „Neben dem Herzen selbst bleiben bei einem Infarkt auch die Nerven in den umliegenden Blutgefäßen zeitweise mit Sauerstoff unterversorgt und erkranken irreparabel. Neben dem kardialen tritt damit ein zweites schwerwiegendes Problem auf.“ Das führe, wie bei Herrn Wandelt dazu, dass immer wieder gleichartige Schmerzen auftreten, unabhängig von bestimmten Situationen. „Die Schmerzen kommen willkürlich, abgekoppelt von dem, was man gerade macht – und treten im Gewand eines Herzinfarktes auf.“ Das mache das Ganze so komplex und schwierig zu diagnostizieren, gerade für Kardiologen, die das mit ihren gängigen Verfahren nicht feststellen könnten. Mediziner wie Patienten blieben ratlos zurück, so der Chirurg.

Häufung der Schmerzattacken sinkt massiv
Mutter setzt dem schmerzgeplagten Patienten Ende 2023 das nur wenige Zentimeter große Implantat oberhalb des Gesäßbereiches ein. Nicht jedoch ohne vorher die Wirkung in einer einwöchigen Testphase ausprobiert zu haben. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Von mehrmals wöchentlich im Durchschnitt reduzieren sich die Schmerzattacken auf eine – pro Quartal. Eine nie erhoffte Verbesserung der Lebensqualität tritt für Wolfgang Wandelt ein.


Neben den Schmerzen selbst fallen auch viele der sinnlosen Fahrten ins Krankenhaus weg – und damit die Angst vor dem nächsten Herzinfarkt. „Alleine das ist schon so viel wert, und dass man weiß, dass man nicht bekloppt ist, wie viele Ärzte es vermuten, weil sie die richtige Diagnose nicht finden.“ Was er anderen in einer ähnlichen Situation rät: „Man soll sich auf keinen Fall abstempeln lassen und einfach mal die Neuromodulation ausprobieren. Der Eingriff dauert nicht lange, und wenn es wirklich an den Nerven liegt, dann hilft es auch.“

Die Vorteile gegenüber anderen Therapien lägen zudem auf der Hand, ergänzt der Mediziner Uwe Mutter: „Das Gerät kann jederzeit ausgeschaltet oder entfernt werden, die benötigte Stromstärke ist individuell anpassbar und die Behandlung medikamenten- und nebenwirkungsfrei.“

Trotz des beachtlichen Behandlungserfolgs verabschiedet sich Wolfgang Wandelt als herzkranker Patient an diesem Morgen von der Gesprächsrunde. Er wird auch weiterhin ein ruhiges und zurückgezogenes Leben führen. Denn das Infarktrisiko bleibt für ihn bestehen. Und es drängt sich die Frage auf: Kann ein weiterer Herzinfarkt durch die Neuromodulation übersehen werden, wenn man Schmerzanzeichen nicht mehr spürt?


Uwe Mutter schließt das aus. Jedes Mal, wenn die Schmerzproblematik dann und wann noch auftrete, müsse man den Zusammenhang „starker Brustschmerz gleich möglicher Herzinfarkt“ weiterhin medizinisch prüfen. Die zuständige Schmerzleitung sei weiterhin aktiv, da der Neurostimulator ausschließlich Schmerzen der Nerven, nicht des Herzens, ausschalten könne. „Wenn die Brust schmerzt und zusätzlich der linke Arm wehtut, ist höchste Vorsicht geboten, dann muss die Untersuchungsmaschinerie anlaufen – nur eben nicht mehr so häufig. So wie bei Wolfgang Wandelt jetzt glücklicherweise.“

Kontakt:
Sekretariat der Klinik für Schmerztherapie
Montag bis Freitag 08:30 bis 11:30 Uhr
Dienstag und Donnerstag 13:00 bis 15:30 Uhr
Tel. 02267 889 130
E-Mail: schmerztherapie.wipperfuerth@helios-gesundheit.de

Redaktion
Redaktion
Murat Uelbeyi ist Chefredakteur und Verlagsleiter beim Regio GO Magazin. Der gelernte Grafik-Designer studierte in Wuppertal Kommunikationsdesign und arbeitete als Art-Director in nahmhaften Agenturen ehe er 2004 seine eigene Werbeagentur gründete.
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