Mittwoch, Mai 15, 2024
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Hexenjagd auf Cannabis

Zur Zeit brodelt es in der Tagespresse zum Thema Cannabis-Legalisierung. Wenn man die Kommentare liest, muss man ja befürchten, dass eine Legalisierung von Cannabis Millionen von hirngeschädigten jungen Menschen erzeugen wird und wir alles tun müssen, um zu verhindern, dass junge Menschen unter 25 Jahren legalen Zugang zu Cannabis erlangen. Kommen wir zum Faktencheck.

Bei Wikipedia lesen wir zur Gefährlichkeit unserer beliebtesten Alltagsdroge Alkohol folgendes zur Häufigkeit von alkoholbedingten Hirnschäden bei Neugeborenen:

„Alkohol hat von den vielfältigen, in der Schwangerschaft auf das Kind potenziell toxisch wirkenden Stoffen die größte Verbreitung und die größte gesellschaftliche Konsumakzeptanz. In einer Studie der Charité aus dem Jahr 2007 gaben 58% der befragten Schwangeren an, gelegentlich Alkohol zu trinken. Da jedoch statistisch gesehen nur eine von fünf Frauen in westlichen Ländern während der Schwangerschaft konsequent auf jeglichen Alkoholkonsum verzichtet, sind alkoholbedingte Schädigungen dort weit verbreitet. Das Fetale Alkoholsyndrom ist nach Angaben des Robert Koch-Instituts in Deutschland mit im Durchschnitt einem betroffenen Kind bei 350 Geburten die häufigste Ursache für geistige Behinderungen. Das wären jährlich etwa 2000 betroffene Kinder. Es ist damit beispielsweise doppelt so häufig wie das Down-Syndrom.

Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden in Deutschland jedes Jahr etwa 10.000 Neugeborene mit Alkoholschäden zur Welt gebracht. Fetale Alkoholspektrum-Störungen stellen demzufolge die häufigste aller angeborenen Erkrankungen dar. Von diesen Kindern zeigten etwa 4.000 das Vollbild des Fetalen Alkoholsyndroms. Das wäre ein FAS pro etwa 200 Geburten. Sie sind in der Regel ein Leben lang körperlich und geistig schwerbehindert.

Die Dunkelziffer für Kinder mit partiellem FAS wird auf weitere etwa 11.000 bis 16.000 geschätzt, da davon ausgegangen wird, dass Kinder mit Auffälligkeiten im Sinne eines partiellen Fetalen Alkoholsyndroms oft nicht als solche diagnostiziert werden. Aus Sorge der Mütter vor eigener Stigmatisierung wird der Konsum von Alkohol in der Schwangerschaft zudem vielfach verschwiegen oder bagatellisiert, sodass nach anderen Ursachen geforscht wird.“

Wann fordern unsere überbesorgten Kinderschützer denn endlich ein Verkaufsverbot für Alkohol an gebärfähige Frauen? Achtung! Ironie!Niemand will ein solches Verbot.

Oder betrachten wir ein anderes schädigendes Thema, was besonders junge Menschen betrifft, die e-scooter. Einst gepriesen als Fortbewegungsmittel für Berufstätige zur Bewältigung der „letzten Meile“ zum Arbeitsplatz, ist er heute ein Lieblingsspielzeug für übermütige geworden.

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht hierzu:

„Demnach registrierte die Polizei im Jahr 2020 in Deutschland insgesamt 2.155 Unfälle mit Elektrokleinstfahrzeugen (sogenannten E-Scootern), bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, kamen dabei insgesamt 5 Menschen ums Leben, 386 wurden schwer verletzt und 1.907 leicht. Mehr als 80% dieser Verunglückten waren selbst mit dem E-Scooter unterwegs gewesen.

„Wann fordern unsere überbesorgten Kinderschützer denn endlich ein Verkaufsverbot für Alkohol an gebärfähige Frauen? “

Ein Drittel (33,7%) aller verunglückten EScooter- Nutzenden waren jünger als 25 Jahre.“ Wir wissen jetzt also, dass es unserer Gesellschaft eigentlich völlig gleichgültig ist, wenn tausende junge Menschen jährlich schweren Schaden nehmen. Aber obwohl wir wissen, dass an normalem Cannabis-Konsum noch niemand gestorben ist und wir nur vermuten, dass es zu schweren Schäden kommen könnte, wenn es zur legalen Freigabe käme, setzen wir alles in Bewegung, um es zu verhindern. Noch dazu in einer Wirklichkeit, in der jeder 12-jährige auf seinem heimischen Schulhof jeden Tag alles erwerben kann, was im Betäubungsmittelgesetz verboten ist: Cannabis, Pep, Speed, Ecstasy, Kokain, Blue Punisher, LSD, Psilocybin, Heroin und Fentanyl etc..

Ich selbst begleite einige junge Erwachsene, die mit Hilfe von illegalem Cannabis ihren Alltag wie Beruf, Studium oder Schule trotz ihrer massiven Probleme von ADHS bis Sozialphobie, bewältigen können, nachdem alle Versuche mit gängigen Psychopharmaka nicht erfolgreich waren. Diese Behandlungen zu legalisieren, scheitert immer wieder an der Unwilligkeit der Krankenkassen, die Kostenzusage zu erteilen. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Führerschein sinnlos wird, da Cannabis wochenlang im Blut nachweisbar ist und es bis heute keinen Grenzwert für Fahruntüchtigkeit gibt.

Wäre ich ein Verschwörungstheoretiker, würde ich aus alldem messerscharf schließen, dass die Hetzkampagne gegen Cannabis von der Mafia betrieben wird, um ihren florierenden Cannabis-Markt nicht zu verlieren. Ich bin aber kein Aluhut und halte es deswegen mit Albert Einstein, der sagte: „Das Universum und die menschliche Dummheit sind unendlich, aber beim Universum bin ich mir nicht so sicher!“

Meine Forderung lautet also: Legalize it!

Ihr Dr. med. Josef Kirchner

Kinder- und jugend­psychiatrische Praxis Rösrath

Sülztalplatz 1 · 51503 Rösrath · Tel: 02205/5001 · www.kjp-roesrath.de

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Dr. Josef Kirchner
Dr. Josef Kirchner
Der renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Josef Kirchner ist seit 1994 als Facharzt für Kinder und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie niedergelassen in Rösrath. Darüber hinaus ist er auch Vorsitzender der nordrheinischen Regionalgruppe des Berufsverbandes der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (BKJPP).
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